Die Anatomie des Pferdes – Gebäudefehler erkennen
Ein korrekt gebautes Pferd mit perfekt gewinkelten Gliedmaßen, einem gut angesetzten, geschwungenen Hals, einem stabilen Rücken und dazu noch super ausdrucksstarken Gängen? Das gibt es nicht! Heute verrate ich euch, wie ihr schnell die wichtigsten Gebäudemerkmale eures Pferdes erkennen und beurteilen und es dementsprechend gesunderhaltend trainieren könnt.
Das Gebäude des Pferdes ist immer von der Rasse und dem Alter bzw. dem Trainingszustand abhängig. Denn gewisse Probleme können auch antrainiert sein, sprich: falsche Bemuskelung, wie z.B. einen stark ausgeprägten Unterhals. Daher kann der Körperbau auch durch die Muskulatur (positiv) verändert werden.
Inhalt
Quadrat oder Rechteck?
Als erstes schaust du dir das Gesamtbild des Pferdes an. Am einfachsten geht das, wenn du dein Pferd auf einen geraden Untergrund stellst, wobei alle 4 Hufe gleichermaßen belastet sein, das Pferd nach vorne schauen sollte und ein seitliches Foto machst. Auf dem Foto zeichnest du dann ein Viereck zwischen Buggelenk, Hufe, Sitzbeinhöcker und Widerrist ein. Daraus ergibt sich dann entweder ein Quadrat oder ein Rechteck.
Ein sogenanntes Quadratpferd hat in der Regel einen stabilen Rücken und kann mehr Gewicht tragen. Es lässt sich besser versammeln und ist daher besser für die Dressur geeignet. Barockpferderassen, wie z.B. Lusitanos und Andalusier sind dem Quadrattypen zuzuordnen.
Ein Rechteckpferd hingegen hat mehr Raumgriff und beeindruckendere Bewegungen. Allerdings muss man bei diesem Typen viel an der Versammlung arbeiten, damit es den Reiter lange gesund tragen kann. Typische Rassen sind z.B. Hannoveraner und Araber.
Kopf und Hals
Eine kurze Maulspalte deutet darauf hin, dass es evtl. Probleme mit der Kandare + Unterlegtrense geben könnte, da einfach der Platz im Maul fehlt. Außerdem solltest du auf die Ganaschen achten. Zwischen die Ganasche und den Atlasflügelast (im Bild in türkis eingezeichnet) sollten mindestens 2 Finger Platz haben. Dann kann man von einer guten Ganaschenfreiheit reden. Ist dort weniger Platz, so wird sich das Pferd nie so weit aufrichten lassen, wie ein Pferd mit viel Ganaschenfreiheit. Wird das Pferd dennoch in eine Haltung gezwungen, wird die Ohrspeicheldrüse gequetscht, was starke Schmerzen verursacht.
Zu geringe Ganaschenfreiheit ist meist ein Problem von vielen Ponyrassen, wie z.B. Haflingern oder Norwegern, aber auch von iberischen Pferden. Diese haben meist hoch aufgesetzte Hälse und sollten mit der Stirn-Nasen-Linie deutlich vor der Senkrechten geritten werden. Durch die Schmerzen beim Einengen kann ein sogenannter „Falscher Knick“ entstehen. Dabei ist nicht mehr das Genick der höchste Punkt, sondern der Bereich des 3-4 Halswirbels, wodurch das Pferd nicht mehr korrekt über den Rücken laufen kann.
Da die restliche Kopfform des Pferdes für das Reiten wenig von Bedeutung ist, sind wir nun am Hals des Pferdes angekommen. Dieser sollte im Idealfall 1,5 Mal so lang sein wie der Kopf, da es bei zu langem bzw. zu kurzem Hals zu Balanceproblemen kommen kann. Die Oberlinie sollte leicht geschwungen sein, sich zum Genick hin leicht verjüngen und das Genick als höchsten Punkt haben. Im Idealfall ist der Hals etwa mittig der Schulter mit einem Winkel von 90° angesetzt, wodurch eine gute natürliche Aufrichtung entsteht. Ein zu tief angesetzter Hals verhindert die Aufrichtung, das Pferd wird vorhandlastig und oft führt er zum Unterhals (auch Hirschhals genannt). Gegenteilig zum Hirschhals steht der Schwanenhals. Die ist ein langer, instabiler Hals, mit dem sich das Pferd durch einrollen den Hilfen sehr leicht entziehen kann. Bei einem zu kurzen Hals entsteht schnell der Eindruck einer schönen Aufrichtung, wobei der Reiter genau darauf schauen muss, ob das Pferd auch reell über den Rücken läuft.
Bei manchen Pferden kann man eine Kuhle zwischen Hals und Widerrist sehen. Diese Kuhle nennt man Axthieb und sie kann ein Zeichen für Unterernährung, aber auch für zu wenig Muskulatur sein. Die Ausprägung des Widerrists bestimmt die Sattellage des Pferdes. Ein gut ausgeprägter Widerrist bedeutet, dass das Pferd eine gute Bewegungsmechanik mit sich bringt und dieser hält den Sattel an Ort und Stelle. Bei Pferden (meist Ponys) ist der Widerrist weniger ausgeprägt, wodurch der Sattel gerne mal nach vorne rutscht.
Der Rumpf
Auch der Brustkorb ist ein wichtiger Punkt im Gebäude des Pferdes. Pferde mit schmalem Brustkorb neigen oft zu Gleichgewichtsproblemen, wo hingegen bei Pferden mit breitem Brustkorb die Gliedmaßen weiter auseinander stehen, wodurch sie mehr stabilität bekommen. Ein weiterer Vorteil eines breiten Brustkorbs ist, dass die Pferde mehr Platz für Herz und Lunge haben, was sie leistungsfähiger macht.
Die Schulter sollte etwa einen Winkel zwischen Schulterblatt und Oberarm von 90-100° haben. Bei einer steilen Schulter (Winkel >100°) besteht die Gefahr, dass das Pferd vorhandlastig läuft und wenig Raumgriff entwickelt. Das Pferd wirkt dadurch oft überbaut und droht schnell zu stolpern. Schulter und Hinterhand sollten etwa gleich gewinkelt sein.
Ist die Hinterhand flach gewinkelt und hat eine gerade, flache Kruppe, so kann das Pferd mehr Schub- als Tragkraft entwickeln und eignet sich daher gut für den Distanzsport. Mit einer eher steilen Kruppe, lässt sich die Hinterhand leichter Beugen und das Pferd kann gut untertreten. Demnach kann es viel Tragkraft entwickeln und sich gut versammeln, was für den Dressursport von Vorteil ist. Es gibt Pferde, die hinten überbaut sind. Das heißt, dass die Kruppe höher ist, als der Widerrist (im Normalfall sollte beides etwa auf gleicher Höhe sein). Dadurch liegt der Schwerpunkt des Rückens recht weit vorne, das Pferd wird also vorhandlastig und auch der Sattel kann nach vorne rutschen.
Die Gliedmaßen
Alle vier Beine sollten senkrecht unter dem Pferd stehen und idealerweise vom Widerrist zum Ellenbogen, sowie vom Ellenbogen zum Boden in etwa gleichlang sein. Steht die Vorhand nach vorne raus, hängt der Rücken durch. Ist sie rückständig, so werden Knochen, Sehnen und Gelenke vermehrt belastet. Pferde mit nach hinten herausstehender Hinterhand können keine gute Tragkraft entwickeln. Die Fesseln sollten nicht zu kurz sein. Sie sind dadurch zwar stabiler, haben aber wenig Stoßdämpfung, was zu Verschleiß der Gelenke führt. Gerade auf hartem Boden, sollte man vorsichtig sein. Zu lange Fesseln sind sehr instabil und belasten die Bänder. Wird dann noch auf sehr weichem Boden geritten, ist dies noch mal eine zusätzliche Belastung.
Ich beurteile mein Pferd anhand eines Bildes
Wie wir ja auf dem ersten Bild schon feststellen konnten, ist Wango ein Quadratpferd.
Die Maulspalte schätze ich als normal ein. Die Ganaschenfreiheit (türkis) lässt sich auf einem Foto leider schwer beurteilen, allerdings weiß ich, dass diese bei Wango recht begrenzt ist, typisch seiner Rasse, aber schauen wir uns erstmal den Hals an. Auch der Hals ist etwas zu kurz und recht tief angesetzt, jedoch in einem guten Winkel zur Schulter. Auf dem Foto neigt Wango zu einem leichten Unterhals. Der Widerrist ist wenig ausgeprägt.
Der Winkel zwischen Schulterblatt und Oberarm beträgt ca. 97°, was sehr gut ist. Die Hinterhand ist knapp unter 90° gewinkelt (lila). Die Kruppe ist recht rund und steil (gelb) und leicht überbaut, was man auf dem ersten Bild ganz gut erkennen kann.
Wangos Beine haben eine gute Länge in Relevanz zu seinem Körper, allerdings sind die Vorderbeine leicht rückständig und die Hinterbeine leicht vorständig. Seine Fesseln haben eine gute Länge in Bezug auf seine Beine.
Schauen wir uns alles im Gesamten an, auch mein Gefühl, wenn ich reite bzw. longiere, komme ich zu dem Schluss, dass Wango relativ vorhandlastig läuft und es ihm schwer fällt eine reelle Aufrichtung zu halten bzw. korrekt über den Rücken zu laufen. Er kann mehr Trag- als Schubkraft entwickeln, belastet allerdings seine Gelenke und Bänder vermehrt, durch seine nicht ganz korrekt gewinkelten Gliedmaßen.
Trainingsmäßig muss ich demnach vermehrt darauf achten seine Tragkraft zu nutzen und somit seine Vorhand zu entlasten. Es ist wichtig ihn vermehrt in einem richtigen vorwärts-abwärts laufen zu lassen und ihn nach und nach mehr aufzurichten, um ihn reell über den Rücken laufen zu lassen.
Fazit
Auch schon durch eine laienhafte Gebäudebeurteilung, kann man z.B. vor dem Pferdekauf feststellen, ob sich das Pferd für die Ansprüche des Reiters eignet oder wie hoch der „Verschleiß“ der Knochen, Gelenke und Bänder im Training sein könnte.
Wenn du weißt worauf du bei deinem Pferd achten musst (Bodenverhältnisse, Tragkraft des Rückens usw.), kannst du dein Training individuell auf dein Pferd abstimmen und es so lange gesunderhaltend reiten.