Gesundheit

Ein grasendes Pferd ist ein glückliches Pferd – ist das wirklich so?

Das Gras strahlt in einem saftigen Grün, die ersten gelben Kuhblumen sprießen auf den Weiden und die Pferde sind schon ganz ungeduldig. Es ist Mai… Und bei den meisten heißt der Mai: Eröffnung der Weidezeit! Die Tore öffnen sich und die Pferde galoppieren mit schnellen Sprüngen los auf das saftige Grün, rupfen es Stängel für Stängel ab und wollen gar nicht mehr aufhören zu fressen. Klar, das Grasen auf der Weide ist eine zufriedenstellende Beschäftigung für das Pferd und ganz nebenbei werden noch wichtige Nähr-, Wirk- und Ballaststoffe aufgenommen. Aber es könnte ja auch gleich schon wieder vorbei sein…

Wie gut verträgt ein Pferd die Weide?

Um die Frage zu beantworten müssen wir mal einen kurzen Ausflug in den Magen- und Darmtrakt unseres Hauspferdes machen:

Das Hauspferd hat einen ca. 35m langen Verdauungstrakt, der mit bis zu 212L Verdauungsinhalt gefüllt werden kann. Da das Pferd ein Dauerfresser ist und kontinuierlich Verdauungssaft im Magen produziert wird, der ohne Futternachschub den Magen schon nach 4 Stunden schädigen kann, hat es kein Magenfülldruck und somit auch kein Sättigungsgefühl. Nach einiger Zeit ermüdet lediglich die Kaumuskulatur. Wird das Pferd also nicht ca. 16 Stunden pro Tag mit Futter versorgt, kann es zu Koliken und Magengeschwüren kommen.

Unser Pferd hat also einen hoch komplizierten Organismus, der zwar viel Futter braucht, aber mit wenig Inhalt. Daher kommt es super mit karger Nahrung aus, denn eine Überversorgung des Organismus kann das Pferd krank machen. So z.B. mit der Zivilisationskrankheit „Hufrehe“.

Und was bekommt unser Hauspferd?

Viel zu wenig Bewegung und dazu hochenergetisches Futter in Form von Gras, welches auf „Leistung“ gezüchtet wurde. Und das nicht nur während der Weidezeit, denn genau aus diesem Gras wird auch das Heu gemacht, dass wir unseren Pferden im Winter zu fressen geben. Mit zu wenig Bewegung meine ich nicht, dass die Pferde nicht täglich geritten werden, sondern dass sie in freier Natur viel größere Strecken zurücklegen würden, als bei uns auf den Weiden und somit nicht die Fettspeicher anlegen würden, die sie hier nie verbrauchen können.

Doch bevor wir auf die aufgenommene Energie des Pferdes durch das Grasen zu sprechen kommen, möchte ich euch erstmal das Kohlenhydrat „Fruktan“ erklären:

Was ist Fruktan?

Fruktan ist ein langkettiges Kohlenhydrat, welches als kurzzeitiger Energiespeicher im Stängel der Pflanze ist. Es wird während der Photosynthese produziert und beim Wachsen in Zellulose umgewandelt. Kann die Pflanze z.B. Klimabedingt nicht wachsen, wird das Fruktan gespeichert. Dies geschieht etwa bei Kälte, Hitze, Wasser- und Lichtmangel. Allerdings hängt der Fruktangehalt nicht nur vom Wetter ab, sondern auch vom Pflanzenzeil, Tages- und Jahreszeit und der Reife der Pflanze, also in unserem Fall von der Länge des Grases.

Im Blatt ist der Fruktangehalt geringer als im Stängel, d.h. also, dass auf einer satten Weide weniger Fruktan pro Kilo Gras aufgenommen wird. Bei hoher Trockenheit hingegen ist die Weide verdorrt, das Gras ist dadurch gestresst und lagert das Fruktan, weil es ja bei Trockenheit nicht wachsen kann. Kurze, abgefressene Weiden sind demnach auch nicht „gesünder“ als Weiden mit höherem Gras, denn es hat Stress, enthält dadurch mehr Fruktan und entwickelt in diesem Stadium hochtoxische Kaloide, die das Gras z.B. vor Fressfeinden schützen soll. Diese Gifte gelangen in das Blut des Pferdes und führen zu Stoffwechelentgleisungen.

In einer Studie wurde außerdem festgestellt, dass es Schwankungen des Fruktangehalts zu den verschiedenen Tages- und Jahreszeiten gibt. So hat das Gras beispielsweise am Morgen ca. 70g Fruktan pro kg Trockensubstanz und gegen Mittag schon 310g. Nachmittags nahm der Fruktanwert im Stängel noch weiter zu, im Blatt fiel er allerdings deutlich. Im April ist der Gehalt der Weiden durchschnittlich am höchsten im Gegensatz zu den späteren Weidemonaten (Mai-Oktober).

Welche Auswirkungen hat Fruktan?

Fruktan kann nicht von Enzymen aufgeschlossen werden und gelangt so in den Dickdarm. Dort verursacht es eine Veränderung der Darmflora in Form von Gasbildung und Toxinen, die die Darmschleimhaut angreifen. Mögliche Folgen sind dann Kotwasser und Durchfall gefolgt von Blähungen und Gaskoliken.

Die gebildeten Toxine gelangen in den Blutkreislauf und werden durch ihn im kompletten Körper verteilt. Leber und Nieren laufen dadurch auf Hochtouren und werden stark belastet. Auch die Haut leidet darunter und es entwickelt sich ein starker Juckreiz. Die Giftstoffe können sich auch in der Huflederhaut festsetzen, was dann zu Hufrehe führen kann.

In dieser Tabelle habe ich euch noch mal eine kleine Übersicht zusammengestellt, wann der Fruktangehalt unbedenklich und ab wann zum Teil sogar lebensbedrohlich werden kann. Du kannst sie dir im Downloadbereich ganz einfach kostenlos herunterladen.

Energielieferant Eiweiß

In der oben stehenden Tabelle ist in der letzten Spalte die Rede von „Energieproduktion“. Darauf möchte ich in diesem Absatz eingehen. Neben Fruktan enthält unsere Weide nämlich auch Eiweiß. Eiweiß ist ein Protein, welches eine Aneinanderreihung einzelner Aminosäuren ist und wird unter anderem zum Muskelaufbau benötigt. Sie bestehen aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Stickstoff, welcher allerdings nicht zur Energiegewinnung beiträgt, sondern in Harnstoff umgewandelt wird.

Eiweiß wird vom Pferd über das Gras aufgenommen und im Magen mit Hilfe von eiweißspaltenden Enzymen zerlegt. In der Leber wird dann ein Teil der Aminosäuren zu körpereigenem Eiweiß zusammengesetzt, welches wichtig für die Muskulatur ist oder der Energiezufuhr zugeführt. Dabei wird das Immunsystem gebildet bzw. regeneriert und Hormone gebildet, um die Erbsubstanz zu ermöglichen. Überschüssiges Eiweiß bzw. der enthaltene Stickstoff muss vom Stoffwechsel entsorgt werden, wodurch wieder die Leber und die Nieren starken Belastungen ausgesetzt werden. Aber Eiweiß ist nicht gleich Eiweiß! Wir zu viel unverdauliches Eiweiß gefüttert, entsteht giftiger Harnstoff, der die Leber zusätzlich belastet.

Doch wie erkenne ich „gute“ Eiweiße?

Schon der Erntezeitpunkt des Heus hat große Auswirkungen auf den darin enthaltenen Eiweißgehalt. Stammt es aus einem späten Schnitt, so sind die Stängel bereits so weit verholzt, dass die Enzyme im Dünndarm des Pferdes diese gar nicht komplett aufgeschlossen bekommen. In Zusatzfuttermischungen ist dünndarmverdauliches Eiweiß meist mit „PCV Rohprotein“ gekennzeichnet.

Auf Grund unserer nährreichen Weiden ist ein Eiweißmangel nur sehr selten. Er äußert sich durch Verminderung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit, Muskelabbau und Wachstumseinschränkungen bei jungen Pferden.

Wie viel Eiweiß benötigt mein Pferd?

Futterexperten empfehlen 0,5-1g verdauliches Eiweiß pro Kilo Lebendgewicht. Dies ist allerdings auch abhängig von Rasse und Arbeit. Mit steigender Arbeitsleistung steigt auch der Energie- und damit Eiweißbedarf.

Beispiel: Als Beispiel dient mein Haflinger Wango. Er wiegt rund 500 kg und zählt zu den Robustpferderassen.

Um herauszufinden wie viel Eiweiß Wango für seinen Erhaltungsbedarf (ohne Arbeit) benötigt, führen wir zuerst die Energiebedarfsermittlung durch. Dazu gibt es eine einfache Formel:

Die 0,6 sind rassenabhängig. So wird bei Warmblütern ein Wert von 0,52 eingesetzt, Ponys erhalten den Wert 0,4, Robustpferderassen (Kaltblüter, Haflinger, Norweger) 0,4-0,5 und Vollblüter 0,64. Setzen wir nun die Werte von Wango in die Formel,

so erhalten wir einen Erhaltungsbedarf von rund 53 MJ. Dabei ist aber immer noch zu beachten, dass Wango zu diesem Zeitpunkt noch nicht gearbeitet wird. Also nehmen wir nun leichte Arbeit in Form von Schritt, Trab und Galopp hinzu:

bei 1 km schnellen Schritt kommt folgende Rechnung

Die 0,35 variiert je nach Bewegungsart. Kommen dort z.B. noch 2,5 km leichter Trab

und 0,5 km leichter Galopp hinzu

so kommen wir auf einen Gesamterhaltungsbedarf von 60 MJ. Und aus diesem Wert können wir nun den Eiweißbedarf von Wango bei leichter Arbeit berechnen. Ein Pferd benötigt pro MJ etwa 6g dünndarmverdauliches Rohprotein.

Das heißt Wango hat einen Eiweißbedarf von 360g. Dies ist natürlich nur ein theoretischer Wert und kann von Pferd zu Pferd schwanken. Dieser steigt auch bei großer Hitze und Kälte um bis zu 10% an. Aber was können wir nun damit anfangen?

Wir müssen uns auf jeden Fall im Klaren sein, dass zu viel Energie das Pferd dick und krank macht. Eine Kombination aus zu viel Eiweiß und zu viel Zucker (Kohlenhydrate) führen zu fütterungsbedingten Stoffwechselentgleisungen wie EMS, KPU, Diabetes usw. Kommt dazu noch Bewegungsmangel, werden die Pferde krank. Sie leiden dann häufig unter chronischer Bronchitis, schlechtem Fell bzw. Sommerekzem und Hufrehe.

Ein Pferd von ca. 500 kg benötigt ohne Arbeit bereits 9000-10000 kcal. Mit leichter Arbeit, wie in meinem Beispiel, würde Wango sogar 15000-16000 kcal benötigen. Natürlich ist das aber auch wieder abhängig von Rasse und Futterzustand des Pferdes. 1g Eiweiß liefert ca. 17,2 MJ bzw. 4,1 kcal.

Wie lange kann mein Pferd auf die Weide?

  Da du jetzt weißt, dass ein hoher Fruktangehalt im Gras nicht gut für dein Pferd ist und berechnen kannst wie viel Eiweiß dein Pferd braucht, kannst du daraus nun berechnen wie lange dein Pferd auf die Weide darf.

Doch ganz so einfach ist das dann wiederum auch nicht… Wir sind ja bisher nur von der Rasse und vom Gewicht ausgegangen, doch auch das Stockmaß spielt da noch eine Rolle. Je größer das Pferd ist, desto besser verträgt es die Weide. Daher sind z.B. Pferdeherden mit unterschiedlichen Größen und Rassen (z.B. Hannoveraner mit Isländer und Araber) ungeeignet.

Pferde mit einem Stockmaß <1,50 m laufen bei zu langem Weidegang sogar auf abgefressenen Weiden Gefahr fettleibig zu werden. Pferde >1.50 m Stockmaß haben dabei ein geringeres Risiko. Aber! Ausnahmen bestätigen ja die Regel: Robustpferderassen sind auch hier wieder gefährdeter als Warmblüter. Und gerade auch bei Pferden, die unter EMS, ECS, KPU und/oder Hufrehe leiden, ist nur ein geringer Weidegang zu empfehlen. 24h Weide ist für kein Pferd ratsam und sollte im Vorfeld mit Futterexperten und Tierärzten abgeklärt werden. Regelmäßige Bewegung ist dann unerlässlich.

Beispiel: Es ist ein wolkiger, verregneter Tag mit 14°C. Wango hat heute morgen bereits leicht gearbeitet und darf nun auf die Weide, die eine optimale Graslänge von 5-8 cm hat. Aber wie lange?

Aus der oben verlinkten Tabelle können wir entnehmen, dass der Fruktangehalt gering ist, ich mir darum also keine Gedanken machen muss. Aber auch die Energieproduktion des Grases ist gering, d.h. es wird nur ca. 20g Eiweiß pro kg enthalten. Bei mittlerer Energieproduktion wären es 22g und bei hoher 25g Eiweiß. Ein Pferd frisst bei dieser Graslänge ca. 3-4 kg pro Stunde, je nach Größe des Pferdes. Ich rechne bei Wango mit 3,5 kg. Im vorherigen Abschnitt habe ich berechnet, dass er bei leichter Arbeit ca. 360g Eiweiß benötigt. Daraus kann ich jetzt wie folgt seine Zeit auf der Weide berechnen:

Demnach kann ich Wango unter diesen Bedingungen ca. 5 Stunden auf die Weide stellen. Damit hat er dann bereits seinen Eiweißbedarf gedeckt.

Bei den Berechnungen sollte jedem klar sein, dass das alles nur theoretische Werte unter optimalen Bedingungen sind und stark abweichen können. Pferde machen ja auch mal Fresspausen zwischendurch und fressen nicht alle gleich schnell. Je länger der Aufenthalt, desto weniger Gras fressen sie pro Stunde. Bei meiner letzten Berechnung habe ich auch den Heubedarf und das darin enthaltene Eiweiß außer Acht gelassen. Wenn euch das noch interessieren sollte, dann stimmt doch gerne mal ab.

Interessiert euch ein Artikel mit dem Thema "Wie viel Heu benötigt mein Pferd während der Weidezeit?"

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Fazit

Ich weiß, es war dieses Mal ein sehr theoretischer Artikel, dennoch finde ich persönlich es sehr interessant einen groben Richtwert zu haben, wie lange ich mein Pferd unter welchen Bedingungen auf die Weide stellen kann, ohne dass es ihm schadet. Gerade auch für Pferdebesitzer von stoffwechselkranken Pferden und Robustpferderassen.

Bei meiner Recherche hat mir das Buch „Thieme: Pferdefütterung“ von Manfred Coenen geholfen, was ich wirklich jedem ans Herz legen kann, der sich ein wenig für die Pferdefütterung und Gesunderhaltung seines Pferdes interessiert. Daraus habe ich unter anderem auch die Werte für die Rechnungen. Ich habe es euch rechts am Rand verlinkt.

Ich hoffe natürlich, dass ich euch mit meinen Beispielen ein bisschen „schlauer“ machen konnte und es gut verständlich ist. Scheut euch nicht zu fragen, ich freue mich über jeden Kommentar und jede Nachricht. Allerdings verspreche ich euch nicht, dass alles in diesem Artikel seine Richtigkeit hat. Ich bin in dem Thema auch kein Experte!

Anna
Weiterführende Artikel: Pferde anweiden

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