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Buchrezension – Blickschulung-Pferdegerechte Ausbildung erkennen von Anja Beran

Im Sommer 2021 habe ich eine Anfrage für die Nutzung einer Grafik von meiner Webseite bekommen. Diese sollte als Vorlage eines Schattenschnitts in dem Fachbuch „Blickschulung – Pferdegerechte Ausbildung erkennen“ von der Autorin und klassischen Dressurausbilderin Anja Beran dienen. Ich habe mich riesig über diese Anfrage gefreut und zugestimmt. Daraufhin bekam ich im Januar 2022 ein Exemplar des oben genannten Buches, welches im November 2021 vom Crystal Verlag veröffentlicht wurde, kostenlos zugeschickt. Danke an dieser Stelle an Anja Beran und ihr Team!

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Handlung und Kernaussage

 „…Die Dressur entgleitet – die Aktiven sind auf dem Weg von Kommerz und Spektakel abgebogen. Die Sorge um die Reiterei, aber vor allem um die Pferde ist die Triebfeder gewesen, dieses Buch zu schreiben. In der großen Hoffnung, vielen Reitern mithilfe einer Blickschulung die Augen zu öffnen und sie schließlich zu motivieren, innezuhalten, um den Kurs zu korrigieren. […]“

Anja Beran, Blickschulung – Pferdegerechte Ausbildung erkennen, S.6

Dieses Zitat aus eben diesem Buch möchte ich gerne als Einleitung für meine folgende Rezension nutzen. Genau diese Sätze, in Verbindung mit dem Titel, beschreiben nämlich sehr treffend die Kernaussage, die mit dem Buch dem Lesenden vermittelt wird: Reitern, Ausbildern und auch Richtern die Augen zu öffnen, dass sich die Dressur als Kunst im pferdegerechten, gesunderhaltenden Sinne immer weiter entfernt und mehr und mehr als Sport und Geldmacherei, frei nach dem Motto „Schnell, schnell, egal wie“ ausgeübt wird.

Der Inhalt des Buches ist wie folgt in 5 Abschnitte gegliedert:

  • Was ist klassische Dressur (17 Seiten)
  • Junge Pferde (27 Seiten)
  • Weiterführende Ausbildung (27 Seiten)
  • Versammlung (50 Seiten)
  • Exkurs zum Thema Sitz (7 Seiten)

Anja Beran beschreibt in ihrem Buch welchen Standpunkt die klassische Dressur in der Pferdeausbildung haben sollte und welchen sie heutzutage tatsächlich hat. Sie geht dazu auf die Ausbildung des Pferdes von der Remonte bis zum hoch ausgebildeten Dressurpferd in Form einer aufeinander aufbauenden Abfolge von Lektionen ein. Dabei beschreibt sie dessen Entstehung und Vorbereitung aus den natürlichen Bewegungen der Pferde. Die Definition dieser Lektionen findet man sowohl in den Schriften der alten Reitmeister, als auch in den Richtlinien der FN. Sie vergleicht die Ausbildungsmethoden und Bewegungsabläufe von Pferden, die im klassischen Sinne ausgebildet werden mit denen im heutigen Reitsport. So macht sie den Unterschied der „Reitweisen“ sichtbar. Dabei verdeutlicht sie das tatsächliche Ziel der Dressur: die Gymnastizierung des Pferdes. In diesem Zusammenhang gibt sie Trainingstipps zum Erlernen bestimmter Lektionen und beschreibt sehr deutlich, dass gesunde, artgerechte Pferdeausbildung ohne Gewalteinwirkung definitiv funktioniert. Anders, als es heutzutage oft auf Turnierplätzen und sogar auf der heimischen Reitanlage zu sehen ist.

Vorlage Grafik Blickschulung
meine Grafik in Blickschulung
Bild 1: Anja Beran, Blickschulung – Pferdegerechte Ausbildung erkennen, S. 4 (kleiner Rechtschreibfehler: „Ullmer“)
Bild 2: Anja Beran, Blickschulung – Pferdegerechte Ausbildung erkennen, S.93

In Bezug auf die „moderne“ Dressur, kritisiert und demaskiert die Autorin die heutigen fragwürdigen Ausführungen von Lektionen und unnatürlichen Bewegungen der Dressurpferde. Diese würden zusammenhangslos und gegen die Natur dressiert. Auf den Turnieren erhalten Reiter bei falscher Ausführung von spektakulär aussehenden Lektionen Höchstnoten. Die korrekte Ausführung hingegen wird weniger gut bewertet. Richter der Reiterlichen Vereinigung (FN) dulden diese neuartigen Präsentationen der Pferde. Diese Unterstützung falschen Reitens ist nicht FN-konform. Zum Beweis greift sie hier Formulierungen der FN-Richtlinien auf.

Mit Vergleichen von Schattenschnitten aus Fotos oder Videosequenzen, die Pferd-Reiter-Paare der klassischen und „modernen“ Dressur in bestimmten Lektionen zeigen, verdeutlicht die Klassikausbilderin die erheblichen Unterschiede in der Ausführung. Diesbezüglich und in Bezug auf die vorgegebenen Aufgaben bei Turnieren, macht sie Verbesserungsvorschläge, damit sich die Ausbildung der Pferde wieder in eine positive Richtung dreht.

Ohne Jemanden persönlich zu verurteilen, bemängelt Anja Beran außerdem, dass es heutzutage Realität ist Pferde dreijährig auf Turnieren, Leistungsprüfungen etc. vorzustellen. Das bedeutet, dass diese bereits mit zwei Jahren das erste Mal unter dem Reiter laufen müssen, was, z.B. aufgrund des Wachstums, keinesfalls pferdegerecht und dem Alter entsprechend ist. Auf der anderen Seite gibt sie gleichzeitig Einblicke, wie die klassische Ausbildung eines Pferdes ablaufen kann. Dabei wird jede Gangart und vereinzelte Lektionen, wie Piaffe und Galopppirouette genau unter die Lupe genommen. Welche Ausrüstung kann ich benutzen? Wie ist das Vorgehen? Wie ist die korrekte Hilfengebung? Wie viel Zeit muss ich für die Grundausbildung tatsächlich einplanen und was passiert mit dem Pferdekörper und der Psyche, wenn ein Pferd zu früh angeritten wird? All diese Fragen werden sehr verständlich und ausführlich beantwortet. Dabei muss man sich als Ausbilder und Reiter im Klaren sein, wozu das Pferd zu diesem Zeitpunkt körperlich überhaupt schon in der Lage ist.

„Die natürlichen Bewegungen, die jedem Pferd eigen sind und für die es eine klare Definition gibt, müssen unbedingt rein im Ablauf bleiben. Wird eine Gangart zerstört, darf die ganze Ausbildung als wertlos erachtet werden. Ein guter Ausbilder kann es sogar schaffen, Bewegungsabläufe in Ausdruck und Kapazität zu verbessern. […]“

Anja Beran, Blickschulung – Pferdegerechte Ausbildung erkennen, S. 11f.

Die sogenannte „Blickschulung“ in dem gleichnamigen Buch bezieht sich allerdings nicht nur auf die Haltung des Pferdes, sei sie erzwungen oder natürlich, sondern auch auf das Erkennen geforderter Lektionen. Sie können zwar richtig aussehen, man erkennt aber die unnatürliche Ausführung bei genauerem Hinschauen deutlich. Teilweise werden auch komplett andere Lektionen gezeigt. Dabei sollte der Betrachter nicht nur auf das Pferd, sondern auch auf den Reiter achten. Dazu bekommt der Leser dieses Buches eine Checkliste an die Hand, um zu lernen, woran er nicht-pferdegerechtes Reiten erkennen kann. Anja Beran appelliert hier an die Richter, Ausbilder und Reiter dieser Pferde ihren Blick zu schärfen und ihr Vorgehen zu überdenken.

Zusätzlich zu dem Buch „Blickschulung – Pferdegerechte Ausbildung erkennen“ kann sich der Leser über das Einscannen eines im Buch integrierten QR-Codes weitere kostenpflichtige Videos anschauen, um noch tiefer in die Materie einzutauchen und nicht nur aus starren, sondern ebenso aus bewegten Bildern zu lernen.

Erscheinung, Sprache und Verständlichkeit

Das Buch „Blickschulung – Pferdegerechte Ausbildung erkennen“ von Anja Beran ist das erste Buch, das ich von der Klassikausbilderin und Autorin gelesen habe. Die äußere Erscheinung spricht mich sehr an. Farblich ist es schlicht in Grautönen gehalten und auch von der Haptik sehr hochwertig. Die Bilder und Fotos in diesem Buch sind von guter Qualität und zeigen stets aufmerksame und gesunderhaltend gerittene Pferde, die die Aussagen Anja Berans untermalen. Das genutzte Zubehör, speziell die Trensen und Kandaren, sind korrekt eingestellt und verschnallt, soweit ich das auf den Bildern erkennen und beurteilen kann. Das einzige Manko ist meiner Meinung nach, dass die Reiter teilweise ohne Helm reiten, da sie, gerade für den Leser, eine Vorbildfunktion haben.

Anja Beran, Blickschulung
Bild: Anja Beran, Blickschulung – Pferdegerechte Ausbildung erkennen, S.84

Die Struktur der Kapitel hat eine schlüssige Reihenfolge und vermittelt aufeinander aufbauendes Wissen. Dabei enthält das Buch, durch seine zahlreichen Illustrationen, viele „Aha-Effekte“ und bereichert somit den flüssig zu lesenden Text. Die Autorin nutzt hier eine authentische Alltagssprache kombiniert mit Fachausdrücken, die sie im Verlauf explizit erklärt. Sie formuliert viele Aussagen, die sie mit verständlichen und einleuchtenden Beispielen aus dem Alltag konkretisiert. Darüber hinaus nutzt sie Zitate aus anderen gehaltvollen Fachbüchern, um ihre Aussagen zu bestätigen. Diese bieten dem Leser zusätzlich weiterführenden Lesestoff, wenn er sein Wissen über die klassische Reitkunst darüber hinaus erweitern möchte.

Der Titel des Buches „Blickschulung“ trifft genau ins Schwarze! Ich hatte erwartet Gegenüberstellungen von Lektionen zu sehen, in denen die schonende und die schadende Ausführung dargestellt und erläutert wird. Daraus möchte ich lernen mein Training zu optimieren. Diese Erwartungen hat Anja Beran erfüllt. Die dargestellten Bilder und Fotos tragen sehr dazu bei Pferd-Reiter-Paare anders zu beurteilen. Sie wandeln das „Nichtwissen“ über die korrekten Bewegungsabläufe in einzelnen Gangarten und Lektionen des Pferdes in Verständnis beim Lesenden um. Ebenso wie die Hilfengebung und den Sitz des Reiters. Bei ihren Erklärungen geht Anja Beran ebenso auf den Einsatz von Hilfszügeln ein. Falsche Bewegungen, wie man sie auf den Schattenschnitten sieht, können genau daraus resultieren.

Bei den dargestellten Schattenbildern in korrekt und unnatürlich gerittenen Lektionen im Vergleich zu den von Richtern vergebenen Noten in den Prüfungen, habe ich beim Lesen nur noch mit dem Kopf geschüttelt. In meinen Augen übermittelt die Klassikausbilderin mit diesem Buch einen Weckruf an alle Reiter, Ausbilder, Richter etc. auf die Bedürfnisse des Pferdes zu achten und nichts zu erzwingen, sondern das Training klassisch und damit gesunderhaltend auszurichten. Durch ihre Beschreibungen wird deutlich, warum Reiten doch eine Kunst und kein Sport ist. Die Kunst das Selbstbewusstsein seines Pferdes zu steigern und es somit erhabener und eleganter wirken zu lassen.

Ich habe dieses Buch förmlich verschlungen und nur schwer ein Ende gefunden. Dabei hat es mir sehr großen Spaß gemacht zuerst die Bilder anzuschauen, zu vergleichen und zu analysieren. Dann erst habe ich den zugehörigen Text gelesen. Das hatte bei mir einen großen Lerneffekt. Nach und nach kristallisierten sich immer mehr Parallelen, sowohl positive, als auch negative, zu meinem Training heraus und ich fühlte mich in meinem Vorgehen mehr und mehr bestätigt.

Das hat mir gefehlt

In dem Kapitel „Junge Pferde“ geht die Autorin speziell auf die Bedeutung des Kappzaums für das Führen und Longieren ein. Dabei erklärt sie unter anderem die Verschnallung, die wie folgt ausgeführt werden sollte:

„…Im Gegensatz zu diesem darf er aber nicht locker mit der Zwei-Finger-Regel zugemacht werden, sondern muss eng anliegend verschnallt werden, weil er sonst auf der Pferdenase hin und her rutschen würde. […]“

Anja Beran, Blickschulung – Pferdegerechte Ausbildung erkennen, S. 32

Später kommt sie auf die Verschnallung des Nasenriemens an der Trense zu sprechen:

„…Dazu müssen wir den Nasenriemen vorschriftsmäßig verschnallen, nämlich so, dass zwei Finger zwischen Nasenriemen und Pferdenase Platz haben. Ein zugeschnürtes Maul führt immer zu einem verspannten Pferd, denn es kann weder leicht schlucken noch die Zunge, geschweige denn den Kiefer frei bewegen. […]“

Anja Beran, Blickschulung – Pferdegerechte Ausbildung erkennen, S.56

Die Formulierungen haben bei mir die Frage aufgeworfen, wieso der eng verschnallte Kappzaum keine Verspannungen beim Pferd hervorruft. Auch wenn es nicht direkt Thema des Buches ist, hätte ich mir hierzu noch eine Erklärung gewünscht.

Des Weiteren fehlt mir in Bezug auf die Schattenschnitte ein Abschnitt, in dem deutlich wird, wann das Pferd auf der Vorhand läuft. Gerade bei Pferden mit einem schwierigen Exterieur finde ich das als Laie teilweise schwer zu beurteilen, aber wichtig für das Training dieser Pferde.

Wer sich noch zusätzlich die Videos inkl. einem zugehörigen Quiz anschauen möchte, kann diese für 30€ kaufen. Sie stehen dem Käufer 6 Monate nach dem Kauf uneingeschränkt zur Verfügung. Den zusätzlichen Preis von 30€ finde ich tatsächlich etwas schade, wenn man sich bereits das Buch für 44€ gekauft hat. Da hätte es z.B. einen kleinen Rabatt beim einscannen des QR-Codes im Buch geben können.

Fazit

Die klaren Worte der Klassikausbilderin Anja Beran wenden sich an alle Pferdefreunde. Sie machen deutlich, dass das heutige Dressurreiten sich immer weiter von der Natur des Pferdes entfernt und somit mehr Schaden, als Gesundheit bringt. Und dass sogar bei bestbezahlten Pferden im Sport fragwürdige Bewegungen in den beliebten Lektionen, wie Trabverstärkungen, Piaffen und Passagen, weit weg von den Richtlinien der FN gezeigt und gut benotet werden. Deshalb ruft sie dazu auf sich die hohe Dressur auf Turnierplätzen nicht zum Vorbild zu nehmen. Die Erhabenheit des Pferdes sollte durch die klassische Ausbildung erarbeitet werden.

Mir ist beim Lesen aufgefallen, dass Anja Beran häufig den Ausdruck „Kraftreiterei“ in Bezug auf die „moderne“ Dressur nutzt. Die Folgen des heutigen Dressursports sehen wir in den Pferden, die schon in viel zu jungen Jahren geritten werden. Dadurch weisen sie Schäden am Bewegungsapparat vor. Dem Leser wird mit auf den Weg gegeben, dass klassische Ausbildung Gymnastizierung bedeutet, in der das Pferd von hinten nach vorne aufgebaut bzw. geritten wird. Diese Ausbildung benötigt eine Zeitspanne von 6-7 Jahren, die das Pferd und nicht der Reiter bestimmt!

Ich kann dieses Buch jedem Reiter empfehlen, der sein Pferd gesund und bis ins hohe Alter reiten möchte. Auch wenn man bereits jahrelang erfolgreich auf Turnieren geritten ist, nun aber eine andere Richtung eingeschlagen hat bzw. einschlagen möchte, kann diese Lektüre helfen, umzuschulen. Dazu sind die zusätzlichen Videos meiner Meinung nach nicht zwingend nötig. Die Schattenschnitte aus eben diesen Videosequenzen sind toll ausgewählt und dazu verständlich erklärt. Das Preis-Leistungs-Verhältnis empfinde ich im Vergleich zu ähnlichen Fachbüchern fair, auch wenn es nicht gerade günstig ist. Für den Lerneffekt tut das Buch dafür umso mehr!

Und noch eine kleine Info am Rande: Mit dem Kauf dieses Buches unterstützt du die Anja Beran Stiftung! Sie hilft falsch bzw. hart ausgebildete Pferde wieder auf den richtigen Weg zu bringen, physisch sowie auch psychisch. Darüber hinaus kannst du auch eine Spende direkt an die Anja Beran Stiftung senden. Die Kontaktdaten findest du in dem Buch auf S. 148.

Anja Beran Stiftung
Bild: Anja Beran, Blickschulung – Pferdegerechte Ausbildung erkennen, S.148

Die Autorin

Anja Beran ist mit ihren über 35 Jahren Erfahrung in der Reiterei seit 2002 Leiterin des Ausbildungsbetriebes „Gut Rosenhof“ in Bidingen, Bayern. Dort korrigiert und bildet sie mit ihrem Team Pferde nach den Schriften der alten Reitmeister aus und weiter. Außerdem gibt sie dort Lehrgänge und Kurse und hält sogar Vorträge. Auf www.anjaberan.de erfährst du mehr über Anja Beran und ihr Team.

Deine Anna

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