Verhalten & Psychologie

Die Sinne des Pferdes – was bedeuten sie für den Umgang

Ebenso wie wir Menschen, haben Pferde unterschiedlich stark ausgeprägte Sinne, mit denen sie ihre Umgebung wahrnehmen. Für das Fluchttier Pferd sind sie von viel größerer Bedeutung, als für uns Menschen und teilweise sind immense Unterschiede vorhanden. Was Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten für Auswirkungen auf den Umgang und das Training mit unserem Pferd haben, erfährst du in diesem Artikel. Und haben Pferde vielleicht noch einen 6. Sinn?

Durch die Augen eines Pferdes

Die Augen sind das wichtigste Sinnesorgan des Pferdes und bisher am meisten erforscht. Dabei unterscheidet sich das Auge eines Pferdes lediglich in 2 grundsätzlichen Punkten von dem menschlichen:

  • Die Form der Pupille und dem damit verbundenen Sichtfeld
  • Die Farbwahrnehmung

das Sichtfeld

Pferdeauge

Anders als bei menschlichen Pupillen, sind die Pupillen von Fluchttieren länglich-horizontal. Dadurch und durch die Anordnung seitlich am Kopf wird ihnen fast ein Rundumblick ermöglicht, nämlich 355°. Tote Winkel existieren lediglich direkt vor dem Nasenrücken, hinter der Kruppe und unter dem Körper. Auch nach oben können Pferde nicht schauen, sie wissen demnach nicht, was sich über ihnen befindet. Trägt das Pferd seinen Kopf normal, sieht es auf 1,20m nicht, wo es hin tritt, bei tiefem Kopf sieht es lediglich den Boden. Das liegt an ihrem horizontalen Blickfeld.

wie sieht ein Pferd

Pferde haben 2 verschiedene Sichtfelder. Nach vorne in die Ferne hat es einen 3D-Blick, wie wir Menschen und kann demnach räumlich und scharf sehen. Die Seh- und Kontrastschärfe ist hier sogar höher, als die von Menschen und Bewegungen werden viel eher wahrgenommen. Rechts und links von ihm, da wo nur 1 Auge schauen kann, fehlt dieses perspektivische Sehen und es wird unscharf, so als würdest du dir ein Auge zuhalten. Einäugige Pferde können also keine 3D-Sicht haben, daher lassen sich Abstände sehr schwer abschätzen. Das fällt Pferden mit 2 Augen, durch ihre Weitsicht, sogar schon schwer.

Ich habe dazu ein Selbstexperiment für dich:

Lege ein Blatt Papier in einem Abstand von 30cm vor dich auf den Tisch und male einen Punkt darauf. Behalte beide Augen offen und tippe mit dem Zeigefinger auf den Punkt. Ist gar nicht schwer oder? Dann halte dir nun mal ein Auge zu und versuche es nochmal. Hast du den Punkt problemlos getroffen?

Hast du es schon mal erlebt, dass dein Pferd beim Reiten auf der linken Hand ohne zu Zucken an einem Gegenstand vorbei gelaufen ist und es sich dann auf der rechten Hand vor genau diesem Gegenstand erschrocken hat? Unter Reiter:innen geht das Gerücht um, dass das an der fehlenden Verknüpfung der Gehirnhälften des Pferdes liegt. Das stimmt allerdings nicht so ganz! Wie oben beschrieben, sehen Pferde seitlich nicht perspektivisch und können sich den Gegenstand schlichtweg nicht räumlich vorstellen. Er sieht von der einen Seite vielleicht komplett anders aus, als von der anderen.

die Farbwahrnehmung

Das Auge hat sogenannte Stäbchen und Zapfen. Stäbchen regulieren die Lichtempfindlichkeit in Grautönen. Die Zapfen sind für die Farbwahrnehmung zuständig. Auch im menschlichen Auge sind Stäbchen und Zapfen zu finden.

Während der Mensch in der Dunkelheit so gut wie nichts sehen kann, sieht das Pferd fast so deutlich wie eine Katze. Allerdings gewöhnen sich die Augen viel langsamer an sich verändernde Lichtverhältnisse, als bei Raubtieren. In der Natur dauert ein Sonnenuntergang meist 20-30 Minuten. Diese Zeit benötigt auch das Pferdeauge, um sich an Dunkelheit zu gewöhnen. Deshalb scheuen Pferde auch gerne mal vor Licht- bzw. Schattenpunkten auf dem Boden.

so sehen Pferde

Das menschliche Auge besitzt 3 Farbzapfen, die das rote, blaue und gelbe Licht einfangen. Pferden hingegen fehlt der Zapfen für das rote Licht. Dies nennt man auch Rotblindheit, sie können also die Farbe rot nicht sehen. Generell werden Farben von Pferden nicht so deutlich wahrgenommen und erscheinen eher als Pastelltöne zwischen gelb und blau. Diese beiden Farben können Pferde demnach am besten sehen und unterscheiden.

Mit den Ohren eines Pferdes

Pferde haben drehbare, trichterförmige Ohrmuscheln. Diese Form fängt den Schall deutlich besser ein, als die eines Menschen. Der Aufbau des Innenohrs hingegen ist identisch. Der Gehörsinn ist für Pferde ebenso wichtig zum Überleben, wie der Sehsinn. Gerade beim Grasen, wenn Pferde nur den Boden sehen können, müssen sie sich bei drohender Gefahr auf ihr Gehör verlassen können.

Auch der Frequenzbereich des Hörens, quasi die Tonhöhe, ist bei Pferd und Mensch ähnlich. Wobei Pferde noch höhere Töne bis in den Ultraschallbereich wahrnehmen können. Während der Mensch im Bereich von 20-20000Hz hört, liegt der Bereich des Pferdes zwischen 55-33500Hz.

das hört ein Pferd

Damit du dir darunter auch etwas vorstellen kannst, habe ich hier die Frequenz der menschlichen Stimme und die einer Fledermaus für dich: Der Mensch redet in Tonhöhen von 100-450Hz. Fledermäuse hingegen kommunizieren durch Ultraschall in einem Bereich von 20000-120000Hz. Das menschliche Ohr deckt diesen Bereich gar nicht mehr ab, Pferde hingegen können dies teilweise noch hören.

Durch die Nüstern eines Pferdes

Flehmen

Der Geruchssinn des Pferdes ist bisher wenig erforscht, dennoch für uns als Reiter:in und Pferdebesitzer:in eines der bedeutensten Sinnesorgane des Pferdes. Genau wie die Augen, sind auch die Nüstern seitlich am Kopf angeordnet. Durch die Flügel fangen sie deutlich mehr Gerüche ein, als die menschliche Nase. Hinzu kommt, dass es noch ein weiteres Organ, was bei Menschen kaum ausgeprägt ist, besitzt: das vomeronasale Organ.

Hast du ein Pferd schon einmal Flehmen gesehen? Dabei nimmt es Gerüche, besser gesagt Pheromone durch genau dieses Organ auf. Pferde erkennen dadurch z.B. ihre Artgenossen bzw. Herdenmitglieder. Bei Hengsten sieht man es häufig, wenn sich eine rossige Stute in der Nähe befindet. Bei Angst werden vom menschlichen Körper Pheromone augeschüttet, die dein Pferd wahrnehmen kann. So überträgt sich deine Angst auf dein Pferd.

Mit der Zunge eines Pferdes

Hast du schon einmal ein Pferd beim Grasen beobachtet? Sie wechseln oft die Stelle, probieren einen Bissen und gehen weiter zu der nächsten. Wie bei uns ist das Schmecken mit der Nase gekoppelt. Ansonsten würden sie nur süß, salzig, bitter und sauer schmecken. So haben sie über 35000 Geschmacksnerven, durch die sie angeblich auch Giftpflanzen instinktiv meiden können.

Über die Haut eines Pferdes

Setzt sich eine Fliege auf dein Pferd, beginnt sofort das große Zucken, um sie zu verscheuchen. Die Haut des Pferdes nimmt bereits kleinste Berührungen war und ist sehr empfindlich. Vor allem aber rund ums Maul und an den Augen, wo sich die Tasthaare befinden. An dieser Stelle habe ich wieder einen Selbsttest für dich dabei:

Bitte eine zweite Person deinen Rücken mit einem oder zwei Fingern zu berühren. Auch wenn er/sie zwei Finger nutzt, wird es sich für dich wie ein Finger anfühlen. Das wiederholt ihr im Gesicht. Hier ist es deutlich leichter einen von zwei Fingern zu unterscheiden oder?

Das liegt an den Nerven, die im Gesicht und so auch am Kopf des Pferdes in größeren Mengen vorhanden sind.

Tasthaare

Zurück zu den Tasthaaren. Diese haben die Gleiche Funktion wie bei Katzen oder Hunden: sie dienen zur Abstandmessung. Schmale, enge Räume werden damit sozusagen ausgemessen und geschaut, ob das Pferd dort hineinpasst. Gerade für blinde Pferde oder bei sich schnell ändernden Lichtverhältnissen sind Pferde auf ihre Tasthaare angewiesen. Daher gilt das Abschneiden der Tasthaare, das sogenannte Clippen, als „Sinnesamputation“ und ist in Deutschland eine Straftat!

Hast du schon einmal gehört, dass Tiere bereits vor Naturkatastrophen flüchten, bevor sie eingetroffen sind? Tiere spüren das durch die kleinsten Bodenschwingungen, die der Mensch und auch unsere heutige Technologie noch gar nicht wahrnehmen kann.

Besitzen Pferde einen 6. Sinn?

Pferde sind Herdentieren. Das Verhalten in einer Herde ist immer aufeinander abgestimmt, d.h. läuft ein Pferd voraus, laufen alle anderen hinterher. Dicht an dicht ziehen sie gemeinsam in die Kurven ohne sich dabei gegenseitig über den Haufen zu rennen. Das nennt man auch Intuition. In diesem Fall spricht man vom Schwarmbewusstsein, sozusagen die Übertragung von Emotionen untereinander. Pferde synchronisieren z.B. ihren Herzschlag innerhalb der Herde, damit alle zur selben Zeit auf Gefahren reagieren können. Und genau darunter wird der sogenannte 6. Sinn des Pferdes verstanden. Auch wir Menschen können durch unsere Emotionen unser Pferd beeinflussen. Auch unseren Herzschlag können sie bis auf 1 Meter Entfernung hören. Du kannst also nichts vor ihm verstecken 😉

Was sollte ich beim Umgang und im Training beachten?

  1. In der Reitschule lernt man immer: „Nähere dich einem Pferd nie direkt von vorne!“. Warum nicht? Wenn ich noch weit weg bin, kann es mich klar und deutlich sehen. Stehe ich allerdings direkt vor ihm, nimmt es mich optisch nicht mehr wahr. Deshalb immer von schräg vorne zum Pferd gehen. Achso und hinter das Pferd solltest du dich auch nicht stellen und es erschrecken. Es sieht dich dort definitiv nicht und das könnte weh tun 😉
  2. Pferde Gegenstände, vor denen sie scheuen, immer von beiden Seiten begutachten lassen. Frontal können sie ihn durch die 3D-Sicht am besten einschätzen.
  3. Pferde sehen nur horizontal. Daher heben Springpferde kurz vor dem Hindernis den Kopf, um sehen zu können, wie hoch sie springen müssen. Allerdings können sie dadurch den Absprungspunkt nicht korrekt einschätzen.
  4. Pferde können auch im Winter lange draußen stehen bleiben, denn sie gewöhnen sich an die Dunkelheit und können Gegenstände wahrnehmen ohne sich zu verletzen. Auch Ausritte in der Dämmerung sind für sie kein Problem. Wichtig dabei ist, dass du KEINE KOPFLAMPE trägst! Dann könntest du zwar etwas sehen, aber dein Pferd nicht mehr und das kann Panik auslösen.
Mensch Pferd
  1. Rote Bodenstangen sind gefährlich! Pferde können diese oft nicht vom Boden unterscheiden und stolpern schnell. Auch rote Hindernisse beim Springreiten können übersehen bzw. nur verschwommen wahrgenommen werden.
  2. Pferde können Angst und Gefahr wittern. Bist du nervös, „riecht“ dein Pferd das und deine Nervosität überträgt sich auf dein Pferd. Auch Gefahr kann so gewittert werden.
  3. Erstarrt dein Pferd im Gelände und nimmt dabei den Kopf hoch, hat es entweder eine Bewegung in der Ferne gesehen, ein Geräusch wahrgenommen, was für das menschliche Ohr gar nicht mehr zu hören ist oder einen befremdlichen, für uns unerkennbaren Geruch aufgespürt.
  4. Pferde haben sehr viele Nerven am Kopf und im Maulbereich. Daher sollten wir Reiter:innen unsere Zügelhilfen sachte und mit Bedacht einsetzen. Auch die minimale Schenkelhilfe wird von Pferden wahrgenommen und sie können darauf trainiert werden. Das nennt man dann „feines Reiten“.
  5. Achte im Pferdetraining stets auf dein Gemüt, sei ausgeglichen und glücklich, damit du dein Pferd positiv beeinflussen kannst und dein Training euch beiden Freude bereitet.
Deine Anna

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